Re: Narzissmus und Führungspositionen
Geschrieben von Werner am 20. Mai 2025 09:46:52:
Als Antwort auf: Narzissmus und Führungspositionen geschrieben von Uli S. am 19. Mai 2025 22:37:16:
Ja Uli,
da hast Du wohl Recht. Aber für mich war das nicht das Entscheidende. Ich werde eh nervös, wenn zu viele Leute auf mich schauen.
Aber dass damit die Anlage stabil lief, das war für mich ein Fest. Diese Verflüssigungsanlagen sind schwierig zu regeln und haben extrem verzögerte Reaktionen. Die Schichten (also die Leute, die 8 Stunden Dienst haben) haben sich gegenseitig hopp genommen, wer am meisten Verflüssigungsleistung schafft. Das wurde ins Schichtbuch eingetragen. Man konnte also mit Tricks die Anlage so becircen, dass sie für ein paar Stunden mehr Menge machte, dann aber in kritischen Zustand kam und entweder ausstieg oder, wenn man ihr gut zuredete und viele Ventile einfach zu machte, sich allmählich vom Galopp erholte, aber dann für die ganze Schicht schlechtere Ergebnisse fuhr. Besonders die Nachtschicht hat dann die Kühle der Nacht ausgenutzt, um mal ein bißchen Tempo zu geben. Unter dem Strich wurde durch das Rauf und Runter jedenfalls weniger produziert, als die Anlage eigentlich können sollte.
Also wurde der Temperaturregler auf die Tageshöchsttemperatur gestellt, bzw. ein klein bißchen darunter. Und so lief das "Baby" dann auch durch die Nacht. Nach etwa zwei bis drei Tagen stieg dann die Verflüssigungsmenge allmählich an und erreichte die Sollwerte. Die Jungs haben nachts Fernsehen geschaut und ab und zu mal auf die Steuerungsbildschirme. Wenn das Wetter sich änderte, z.B. im Winter, dann wurde der Regler entsprechend angepaßt, aber immer nur ganz langsam und allmählich. Ich war fasziniert, wie die Lüfter unter dem riesigen Kühler sich nur noch so langsam drehten, dass man glauben konnte, sie würden nur zufällig vom wind gedreht.
Lustig am Rande, der ehemalige Besitzer Thyssengas wollte die Anlage so automatisieren, dass sie nur noch von einem einzigen Bediener gefahren werden konnte. Die Leuts haben also etwas um ihre Jobs gebangt. Wir, die Ingenieure, sollten das so hinkriegen.
Aber die Thyssengas hat die Anlage ans RWE verkauft und deren Betriebsrat hat erstmal geprüft, wie der Standort besetzt ist. Da gab es so Regeln, Quadratmeter Grundstücksfläche mal Anzahl der Kühltürme oder was weiß ich. Die Kraftwerker vom RWE hatten jedenfalls eine äußerst starken Betriebsrat, der erstmal festgestellt hat, dass der Standort völlig unterbesetzt war. :)
Es wurde neue Leute eingestellt, die von nichts eine Ahnung hatten, und diese galt es anzulernen. Ein wirklich interessanter Job, aber am Schluß war dann beides gelungen. Anlage lief (fast) perfekt. Schichtenstärke war so, wie sie früher wünschenswert gewesen wäre. Dää, so kann es kommen.
Dann hat sich Europa eingemischt und kartellrechtlich einen Stock ins Getriebe geworfen. RWE mußte sich von Teilen der Gassparte trennen und hat versucht, die Anlage zu verkaufen. Nachdem unser Sahnestückchen keinen Abnehmer fand, wurde 9 Monate später die Anlage entleert und verschrottet. Jaa, die Mitarbeiter konten nicht so einfach gekündigt werden und wurden auf einen anderen Standort gesetzt. Das hieß für die, Haus verkaufen, umziehen, ein neues Leben anfangen. Die meisten haben es gemacht, wollten ihre Betriebsrente nicht verlieren und sahen auch keine anderen Jobmöglichkeiten.
Ich war damals froh, kein Angestellter zu sein.
Gruß
Werner
- Neues Leben waldi 20.05.2025 22:22 (0)