Oh, das ist wirklich schwierig
Geschrieben von Werner am 20. August 2025 00:59:00:
Als Antwort auf: Anekdote zur Programmierung... geschrieben von Joachim S am 19. August 2025 15:28:55:
da helfen nur noch Kameras oder sowas.
Immer wieder das Problem, Mensch und Maschine. wobei das eigentlich ein Mensch-Mensch-Problem ist. Einer denkt sich was aus und ein andere hält sich nicht dran, weiß evtl. gar nichts davon.
Wie verhält sich ein Bediener bei Störungen? Das wurde lange Zeit im Anlagenbau nicht untesucht. Man ging davon aus, Bediener hat was falsch gemacht, oder Fehler in der Anlage, Bediener fällt entweder tot um oder entfernt sich aus der Anlage, die sich selbst per Steuerung in einen sicheren Zustand bringt.
Jaaa, sehr schön, aber was ist denn, wenn ein Bediener erkennt, das er gerade Mist gemacht hat und diesen Fehler beheben möchte ? Der ist nicht weg und läßt die Anlage machen, sondern versucht, was zu tun. Dazu muß er das gar nicht gewesen sein, der einen Fehler gemacht hat, es könnte auch eine Störung sein.
Und so geschehen bei der VEBA-Oel in Gelsenkirchen (heute BP) in den frühern Neunzigern, des vergangenen Jahrhunderts: Für den Kaltlagertank waren verschiedene Absicherungen vorgesehen, die sowohl vor Vakuum, als auch vor Überdruck schützen sollten. Vakuum ist eigentlich das falsche Wort, denn einige wenige Millibar Unterdruck reichen bereits um einen Flachbodentank zu zerstören.
Solange Flüssigkeit im Tank ist, ist der eigentlich sicher, aber der leere Tank ist in höchster Gefahr. Es reicht, dass der Herbstwind über einen offenen Stutzen hinweg streicht und der Tank wird zusammen gezogen, wie eine leere Coladose. Also was wird gemacht? Erster Schritt, Kompressoren stoppen, die aus dem Tank saugen könnten, das ist noch keine Sicherheitsschaltung, sondern normaler Vorgang im sicheren Bereich. Zweiter Schritt, Gaseinspeisung, Annahme, die Kompressoren stehen nicht aufgrund von Störung laufen die weiter, fördern aber ihr Gas über ein extra Ventil wieder zurück in den Tank, was zu Erwärmung und zum Druckanstieg führt.
Nächster Schritt, Stickstoff wird in den Tank eingespeist, der den Druck wieder ehöhen soll. Letzter Schritt, mechanische Unterdruckklappen öffnen sich und lassen Luft einströmen. Höllengefährlich, wenn dann sich das Gemisch entzündet, ist der Tank weg.
Die Druckmessungen sind dreifach ausgeführt und werden gegenseitig auf Plausibilität überwacht. Fällt eine Messung aus, dann wird dieser Wert ignoriert und es kommt zu einem Alarm. Die Anlage fährt mit den beiden übrigen Messungen weiter.
Die Mannschaft, die die Meßgeräte turnusmäßig überprüft, machte damals beim Setzen von Brücken einen Fehler und die Messung zeigte Vakuum, was aber nicht stimmte. Und schon ging der ganze Apparat los. Der Druck stieg und stieg, was der Bedienmannschaft auch bewußt war, sie wußten aber nicht auf die Schnelle, wie sie das verhindern sollten. Immerhin sind das ja Sicherheitseinrichtungen, die man nicht so einfach lahmlegen darf.
Also startete eine die Kompressoren, damit sie Gas aus dem Tank saugen. Er wußte aber nicht, dass die Rückführungen sich schon geöffnet hatten, die das angesaugte Gas in warmen Zustand wieder in den Tank führten. Das wurde zwar in der Schulung alles erklärt, aber diese war fünf Jahre her und in dem Streß hatte das keine auf dem Schirm. Der Druck stieg immer weiter, während die Leute hin und her rannten und versuchten, was zu tun. Einer ist sogar auf den Tank gestiegen, wo ein lokales Manometer installiert war. Das zeigte bereist 145 mbar an und der Tank war nur für 100 mbar auselegt. Der Typ hätte mitsamt Tankdach wegfliegen können.
Sie haben mit der Rohrzange die Stickstoffzuleitung abgeschraubt, damit nicht weiter eingespeist wird. Der Knüller am Rande, die Sicherheitsventile öffneten sich, konnten aber nicht richtig abblasen, weil in den Abblaseleitungen Vogelnester drin waren, die gegen die Ausblasegitter (zum Schutz vor Tieren) gedrückt wurden und den Durchfluß verhinderten.
Der Tank steht am Rand des Werkes im vorgeschriebenen Abstand zum Zaun und zum Bellendorfsweg, einer recht viel befahrenen Straße, die von der B224 abgeht. Wäre der Tank gerissen und die Dämpfe hätten sich auf der Straße verteilt, dann hätte das nächste Auto schon die Zündquelle sein können.
Verursacher war natürlich die Meß- und Regelwartungsabteiltung, aber ohne zusätzlichen Eingriff der Bediener wäre der Druckanstieg langsamer gegangen.
Gruß
Werner