Re: Das muss man schon klar sagen...


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Geschrieben von Gullideggl am 30. Januar 2018 00:55:05:

Als Antwort auf: Das muss man schon klar sagen... geschrieben von Joachim S am 29. Januar 2018 22:20:55:

Abend Namensvetter Jo,

>>> Diese Spaltung, von der du redest, ist die deiner Ansicht nach wollentlich gesteuert, oder ergibt die sich einfach aus der Dynamik der Entwicklung? >>>

Die Dynamik der Entwicklung ist ganz sicher der größte Faktor. Eine Steuerung wäre ohnehin nur schwer möglich und je nach Fall zu einfach nachweisbar. Die derzeitige globale Situation birgt von sich aus an jeder Ecke Konflikte. Was aber weniger gut nachweisbar und schwerer zu durchschauen ist, ist das Schüren von Konflikten über Geheimdienste oder das mediale Ausschlachten von Problemen und das gezielte Ausnutzen zur Stimmungsmache an der Heimatfront - damit meine ich nicht nur dort wo es offensichtlich ist. Man muss auf die Wirkung schauen. In meinem (eher liberalen) Bekanntenkreis wurde die "Willkommenskultur" als eine Provokation empfunden. Dargestellt freilich als Akt der Menschlichkeit. Diese Wirkung als Provokation verfehlt es dennoch nicht. Ebenso herrscht das Bild vor, dass der nahe Osten verrückt sein muss.
Ich sehe aus Regierungskreisen viel zu wenig Bewegung in eine vernünftige Richtung, wenn man genauer hinschaut wird vieles widersprüchlich - ob das nun gewollt gesteuert wird oder nicht, das darfst du dir selbst zusammenreimen. Mir kommt das Theater nicht echt vor.
Wenn du noch weit weg davon bist, irgendwelche als Verschwörungstheorien deklarierte Themen überhaupt zu beachten, dann versuche ich Dir im Folgenden ein Bewusstsein dafür zu legen, dass in Kapital sehr sehr sehr viel Macht steckt. Unsichtbare, flüchtige, schlüpfrige Macht, die sprichwörtlich keine Grenzen kennt. So viel, das kann sich unsereiner gar nicht vorstellen. Und auch die riesigsten Mengen Kapital gehören Privatleuten, ein paarhundert oder tausend Mann weltweit, namenlose in der Öffentlichkeit unbedeutende Leute. Dass die eine gewisse Connection zur Macht im Allgemeinen haben dürften, steht für mich außer Frage.
Diese Macht kann man nicht bekämpfen, allenfalls irgendwann unterlaufen.

>>> Der Punkt deiner für mich durchaus lesenswerten und zu großen Teilen nachvollziehbaren Ausführungen ist mir noch unklar... >>>

Danke Jo, jetzt muss ich länger ausholen.
Mir wurde in der Schule gesagt, man solle genau hinschauen, ewnn irgendwo Unrecht passiert. Mir wurde das in Bezug aufs 3. Reich eingebläut, was auch mehr als berechtigt ist, aus dieser Zeit kann man enorm viel lernen. Das mit dem Hinschauen hat sich generell auch recht gut entwickelt. Ich finde, dass wir auf gesellschaftlicher Ebene - also in unserem Alltagsradius - durchaus eine sehr wache Wahrnehmung besitzen hinsichtlich Recht und Unrecht. Gerade die Generation nach mir beherrscht das ganz gut. Das reicht aber nicht mehr aus. Die Welt wird ständig kleiner, betrachtet man die Tragweite unseres Handelns. Verantwortungsbereiche wachsen. Dafür fehlt das Bewusstsein weitgehend, es hält nicht Schritt. Der Fokus ist stark einseitig auf den kleinen persönlichen Aktionsradius fixiert - was gute Folgen hat aber m.E. nicht reicht.

Die Welt wird nämlich nicht nur "kleiner", sondern auch arbeitsteiliger, immer spezialisierter sind die Tätigkeiten, wir haben überall Entkoppelungen von Ursache und Wirkung (natürlich nicht real, sondern in der Wahrnehmbarkeit). So ähnlich wie letztens hier: das Thema in Bezug darauf, wie man Tiere behandelt. Abstrakt betrachtet ist es fragwürdig, dass man Mastschweine anders behandelt als Haustiere. Hier steht uns unter Anderem unsere Wahrnehmung im Weg. Das Mastschwein ist weit weg, emotional getrennt. Keinerlei Koppelung. Mitleid oder Ähnliches bräuchte hier den Umweg über Abstraktion, indem man z.B. allen Tieren einen Wert an sich zuschreibt und das derart tut, dass es auch entsprechende Folgen hat (gibt noch weitere Möglichkeiten). Mit den unterschiedlichsten möglichen Konsequenzen für das eigene Handeln. So tickt der Mensch aber nicht unbedingt.

Wir brauchen definitiv mehr Abstraktion, um manche Probleme überhaupt zu erkennen. Weil die Welt selbst immer abstrakter wird. Das ist völlig normal und lässt sich mit Anlehnung an Niklas Luhmanns Systemtheorie recht gut erklären: Wenn die Welt komplexer wird, bekommt ein System (z.B. das psychische System Mensch) zu viel Input und somit ein Komplexitätsproblem. Das führt dazu, dass das System die Realität vereinfacht, d.h. deren Komplexität reduziert, indem es durch Abstraktion mitunter Gegebenheiten einfach nicht beachtet, sie gelangen nicht oder nur abstrahiert ins System. Man lässt nicht mehr alles ungefiltert ins System rein, sondern nur das, was das System verarbeiten kann und gerade wichtig ist. So funktioniert jedes System und Systeme gibt es massenhaft. Das Rechtssystem. Das Finanzsystem, das Bildungssystem, Gesundheitssystem, das System FMSO usw. Wenn Du im PRG sitzt, solltest du nicht nach schönen Mädels am Streckenrand schauen, das wäre zu komplex. Du abstrahierst von der Umgebung und fixierst die Strecke. Alles OK und sogar gut so, weil sicherer für alle Beteiligten.

Aber hier wirds ethisch fragwürdig:
Ein Hedgefonds als Teilsystem des Kapitalismus z.B. soll Kapital vermehren. Der Kapitalanleger, meinetwegen ein gewissenhafter Schulrektor einer Förderschule, ist als Psychisches System mit dem Hedgefonds im Wesentlichen durch seine Zahlung gekoppelt, die irgendwo wieder Liquidität schafft, die er gerade nicht braucht. Er gibt etwas Besitz ab, um ihn zu vermehren. Den Rest macht der Fondsmanager. Er setzt das Geld dort ein, wo es gerade die meiste Rendite bringt. Systematisch. Das ist seine Aufgabe und je besser er sie erledigt, desto besser macht er seine Arbeit. Er investiert mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht absichtlich oder bewusst dort, wo es anderen Menschen schadet. Aber er ist fast vollständig entkoppelt von seinen Handlungsfolgen, die Welt, die er bearbeitet, gelangt nur in Form von Zahlen, Algorithmen oder sonstigen Abstraktionen zu ihm. Als solche bearbeitet er sie.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit setzt er also doch sein Geld dort ein, wo es Menschen schadet. Warum? Weil das Kapital ein scheues Reh ist und am ehesten dort auf die Lichtung geht, wo entweder ordentlich dereguliert wurde oder noch wenig reguliert wird, d.h. dort, wo die Gesetze günstig oder nicht vorhanden sind, der Umweltschutz egal, das Besitzrechte von Bewohnern (evtl. Ureinwohnern) missachtet werden kann, indem die Regierung Ländereien verscherbelt, die Leute für Hungerlöhne arbeiten, Rohstoffe billigst verfügbar sind, usw.. Dieser Effekt: dass tendenziell (also nicht zwingend aber doch überwiegend) dort investiert wird, wo Raubbau betrieben wird, hat sich im derzeitigen System als Standard herausgebildet. Weil das Kapital ein scheues Reh ist, das nur mit möglichst geringem Risiko auf die Lichtung geht. Der Effekt ist quasi das Prinzip von Kapitalanlagen, sobald sie nicht mehr im überschaubaren Nahbereich stattfinden.
Der Anleger hat in seinem nahen Umfeld vielleicht sogar stark das Wohl Anderer im Blick, seine Gesinnung ist hinsichtlich seiner Anlagesumme aber völlig irrelevant. Er denkt vielleicht nicht einmal daran, dass man mit ein paar Euros im fernen Afrika recht viel Unheil anrichten kann. Das ist systematisierte und organisierte Nicht-Verantwortung. Systematischer Raubbau ohne reell Verantwortliche. Durch Abstraktion verwirklicht und durch Entkoppelung ungreifbar gemacht.
Weil der Kapitalismus tendenziell immer so verfährt, das sein Wesen ist, muss man ihn entschärfen oder in kleinere Bahnen lenken.
Macht man sich diese Mechanismen bewusst, ist es auch schnell klar, warum üble Diktatoren oder die Herrschaft von Islamisten bzw. Chaos in rohstoffreichen Regionen für die Kapitalelite äußerst wünschenswert sind. Wenn Merkel Aufklärungsflieger nach Syrien schickt, die für Al-Kaida-Ableger Luftaufnahmen machen, damit die ihre Bomben sauber drappieren können, ist das wunderbar versteckte Kriegsführung. Sie geht nicht selbst hin und tut dort Schlechtes, sondern sie schafft dort Voraussetzungen (den Sturz Assads), die weiteres Handeln erst möglich machen. Ein offener Angriffskrieg aus Deutschland wäre undenkbar, man muss ihn schönreden, wir schicken "nur Aufklärer", den Rest machen die anderen aus der Anti-IS-Koalition. In Afrika si das ähnlich. Das scheue Reh kommt dann, wenn es so weit ist, auf die Lichtung. Das Kapital ist dort bestens aufgehoben, weil es sich rasch vermehrt. Von allen Folgen weitgehend entkoppelt, die Drecksarbeit machen die Leute vor Ort aus ihrer Not heraus.

Diese Entkoppelung und Abstraktion wird schon seit Jahrhunderten immer normaler. Ich halte das für äußerst bedenklich, welcher Scheiße man dient, wenn man das Kapital frei florieren lässt.

So, ich geh jetzt ins Bett, höchste Zeit.

Grüßle Jo

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