methodische Ansätze, physikalische Denkweisen


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Geschrieben von Heinz am 27. September 2020 17:10:11:

Als Antwort auf: Re: Widerspruch in sich geschrieben von Joachim S am 27. September 2020 14:52:31:

Hi Waldi und Jo und Mitleser,

schön, dass ihr euch die Zeit genommen habt, das Papier zu lesen und die Betrachtung dadurch etwas differenzierter wird.

Lasst uns doch weiterhin klar trennen zwischen Politik, Recht und wissenschaftlichen Inhalten, sowie glauben und meinen. Die ersten beiden Punkte haben wir soweit durch, jetzt wollte ich auf die Wissenschaft hinaus.
Wo wir vom methodischen Anspruch wohl noch nicht ganz einig sind ist folgendes:
Fassen wir Corona mal als ein neues naturwissenschaftliches Forschungsgebeit auf (bzw. engen wir die Betrachtung einmal darauf ein).
Was ist insbesondere neu daran: Es wurde neuerdings eine Messmethode etabliert (der PCR-Test) die eine komplett neue Sichtweise auf das Thema Viren ermöglicht. War man vorher darauf angewiesen, anhand von spezifischen Krankheits-Symptomen auf einen Virus rückzuschließen, kann man jetzt ein Virus finden (bzw. Stücke seiner RNA), ohne dass dadurch sich in allen Fällen zwingend Krankheits-Symptome bei dem Träger dieser RNA-Stücke jemals ausbilden. Das ist spannend und neu.

Offensichtlich gibt es noch von keiner Seite ein geschlossenes Bild dazu, also sagen wir ein Modell, dass alle beobachteten Phänomäne im Kontext dieses neuen Messverfahrens ausreichen gut beschreibt. Das behauptet wohl auch keiner der Wissenschaflter, gleich von welcher Seite er rangeht. Dass auch die Definition von Begriffen wie "Pandemie" dadurch neu diskutiert werden müssen ist eine Folge daraus.

Alles was Du, Jo, schreibst kann man durch Austausch von ein paar Wörtern für beide Blickwinkel (also die Drosten-Sicht und die ebm-Sicht gleichermaßen) hinschreiben.
Ich denke es wird der Sache nicht gerecht, einzelne "Gegenbeispiele" zu suchen, um eine Sichtweise komplett zu diskreditieren. Auf Sachebene mag das dienlich sein. In Ermangelung eines vollständigen Bildes auf jeglicher Seite aber wenig kontruktiv. Die tragfähige wissenschaftliche Methode scheint mir eine andere zu sein.
Muss nicht einfach das ganze Feld beackert werden, und alles erdenkliche eingebracht und strukturiert werden? Mit herkömmlichen und mit neuen Messmethoden?
Lass uns das mal mit der Physik vergleichen: Das Phänomen "Licht" lässt sich als Welle und als Teilchen beschreiben. Macht es Sinn die Beschreibung als Teilchen abzulehnen und die Wellenbeschreibung dem überzuordnen, nur weil wir uns gerade mit Brechung am Doppelspalt beschäftigen und die Wellentheorie neu und faszinierend ist?
Wie ist das mit der Newton´schen Mechanik und der Quantenmechanik. Wurde Newton dadurch als Lügner enttarnt? Warum fällt das Elektron nicht in den Atomkern, Herr Bohr? Was ist mit dem ollen Ohm und den Supraleitern? etc.

Wir brauchen sie doch alle und müssen ganz bescheiden feststellen, dass wir die Weltenformel noch nicht gefunden haben. Jedes Beschreibungsmodell passt in den dafür gewählten Grenzen ist aber im Grunde auch immer falsch in gewisser Hinsicht. Je mehr Experimente durchgeführt werden und je konträrer die Annahmen sind umso mehr erfahren wir am Ende über das Wesen des Phänomens. Denkverbote, Einengungen des Betrachtungsraumes etc. dienen nicht dem Erkenntnisgewinn.
Altbewährtes muss nicht zwingend "wahr" sein. Es aber bei erster Gelegenheit über Bord zu werfen entspricht nicht der traditionellen wissenschaftlichen Methode, die uns doch sehr weit gebracht hat im Verstehen unserer Welt.
Selbst der Energieerhaltungssatz ist ja nicht bewiesen im rein logischen Sinn. Es hat sich nur gezeigt, dass er bisher immer ein gutes Modell abgegeben hat. Wenn ich überzeugt bin, dass ich heute ein Perpetuum mobile erfunden habe, kann mir keiner vorhalten, es verstoße gegen den Energieerhaltungssatz und könnte deswegen nicht funktionieren. Dieser Einwand ist zwar plausibel aber nicht logisch in einem mathematischen Sinn. Als Erfinder des Pepetuum mobile bin ich aber gut beraten, zunächst einmal das Modell des Energieerhaltungssatzes (als Arbeitshypothese) auf mein Experiment anzuwenden, um herauszufinden, wo ich eventuell was übersehen habe. Naja, und dann kommt ja auch schnell die Ernüchterung...

In der Physik gibt es eine erstaunliche Koexistenz von verschiedenen Modellen, die sich durchaus widersprechen beim ersten Hinsehen. Der Physiker entscheidet sich aber nicht für "das richtige Modell" und streicht daraufhin alles dem widersprechende für immer aus seiner Formelsammlung. Nein: er versucht erstmal alle bekannten Ansätze zu verstehen, überlegt dann, wie er die unbekannten Einflussgrößen auf sein neues Phänomen denn am besten so eingrenzen kann, dass eines der bekannten Modelle darauf anwendbar wird. Dann überlegt er sich entsprechende Experimente, die beispielhaft das wesentliche seines neuen Phänomens zugänglich machen.

Und ganz selten stellen Physiker fest, dass sie mit den vorhanden Modellen ihr Phänomen tatsächlich NICHT beschreiben können, dass sie gar auf unauflösbare Widersprüche stoßen. Wenn das dann nicht an ihrem individuellen fachlichen Unvermögen liegt, sondern alle anderen Pyhsiker das auch nicht können, dann wird es Zeit für ein neues Modell. Wem es schließlich gelingt, ein solches Modell zu formulieren, der steht auf der Shortlist für den nächsten Nobelpreis.

Zurück zum Thema. Nehmen wir Corona einfach als das eingangs beschriebene naturwissenschaftliche Phänomen. Wie würden wir über Corona danken, wenn wir den PCR-Test nicht hätten? Das ist doch ein legitimer gedanklicher Ansatz. Das kann man mal zusammentragen. Dann schalten wir den PCR-Test dazu und überlegen uns, was sich dadurch ändert. Das Virus selber weiß ja nichts von unseren Messmethoden, dem ist das egal. Es ändert sich nur unser menschlicher Betrachtungswinkel mit dieser Messmethode. Im (nicht) quantemechanischen Sinne beeinfliussen wir das Virus also nicht durch die Art und Weise, wie wir messen.
Welche Möglichkeiten eröffnet diese Messmethode nun und wo liegen ihre Grenzen.
Wenn man fasziniert von der Messmethode einfach mal wild kreuz und quer misst, darf man sich nicht wundern, wenn man hinterher Schwierigkeiten hat, daraus statistische nachvollziebare Schlussfolgerungen zu ziehen. Das ist doch per se nicht erstaunlich und auch alles andere als neu und eignetlich auch nicht der Aufregung wert (wenn denn nun mal etwas Besinnung und Konstruktivität einkehren würde).

Mit etwas Grundwissen zur Statistik kann man sich dann neue Experimente ausdenken, die geeignet sind gewisse Fragestellungen zuverlässig zu beantworten. Konkret sollte man sich z.B. die Zusammensetzung der Stichprobe (also die Auswahl der Leute, an denen man den PCR-Test durchführt) gut überlegen. Die berühmte "repräsentative Querschnittsstudie" ist ein Schlagwort was die Nicht-Drosten Fraktion z.B. immer schon vehement einfordert. Und so weiter, siehe ebm Papier und anderswo.


Dabei geht es nicht darum, was der Expemrimentator "glaubt" oder welches Ergebnis er herbeizaubern möchte. Physikalische Experimente zeichnen sich dadurch aus, dass sie hinreichend genau beschreibbar sind, so dass ein anderer Experimentator an einem anderem Ort (im Universum) unter gleichen Prämissen zum selben Ergebnis kommt. Genauso sind z.B. die Fundamentalkonstanten definiert.
Witziger Weise hat sich gerade das Kilogramm sehr lange diesem Zugang entzogen.
Dort war mam bis vor kurzem tatsächlich darauf angewiesen etwas zu "glauben". Nämlich: Ein Kilogramm ist die Masse eines speziellen Objektes, das in Paris unter einer Käseglocke liegt. Offensichtlich unpraktikabel, wenn man damit implizit Paris zum Zentrum des Universums erklärt). Erst kürzlich wurde das Kilogramm über das Plancksche Wirkungsqunatum universell definiert. Das ist auch für die Marsbewohner ohne Dienstreise nachvollziehbar.

Das führt jetzt alles ein bisschen weit. Ich möchte aber dafür werben, glauben, meinen, wissen, etc weitest möglich zu trennen und in aller Bescheidenheit und Respekt vor der Natur und den anderen Mitmenschen die Instrumente der Wissenschaft anzuwenden. Es eröffnen sich dadurch faszinierende zusätzliche Dimensionen und ich denke auch Erkenntnisse für jedermann, denen das hier vielleicht etwas zu abstrakt erscheint.
Intuition ist auch in der Wissneeschaft oftmals das Salz in der Suppe und für manchen kommt da die Spiritualität mit hinein (aber das ist wieder ein anderes Kapitel, das ich gerne davon abtrennen würde).

Grüße
Heinz


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