Überkritisches aus dem Burgtheater : Hurra, Thermodynamik !


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Geschrieben von Werner am 01. September 2021 15:46:39:

Als Antwort auf: Re: Frage an die Thermodramatiker geschrieben von Joachim S am 01. September 2021 14:39:13:

Hi,

mal wieder richtig einen abgelacht . Puh, was wäre ich ohne Euch !


Aaalso, der kritische Punkt eines Mediums ist der, wo nur noch eine Phase vorliegt und kein Unterschied mehr zwischen Flüssigkeit und Gas festgestellt werden kann.

So steht es in ganz vielen Beschreibungen und erzeugt doch irgendwie einen inneren Konflikt - zumindest bei mir. Was jetzt, Fisch oder Fleisch?

Wir hatten einen tollen Physikprofesser, der leider schon sehr früh gestorben ist. Dieser Mann hat nicht nur ein Experiment dazu mit uns durchgeführt, sondern uns auch gezeigt, dass tatsächlich kein neuer Aggregatzustand entsteht, sondern die überkritische Phase klar die Gasphase ist.

Man muß also sagen, oberhalb der kritischen Temperatur läßt sich eine Stoff nicht mehr verflüssigen, egal, mit welchem Druck man ihm zuleibe rückt.

Das Experimant war so simpel wie effektiv. Eine Kohlenwasserstoff mit sehr niedrigem kritischen Punkt ( so um die 70 °C) befand sich in einem kleinen Gefäß mit vorne und hinten Panzerglas. Die Flüssigphase war klar zu sehen, das Gefäß war halbvoll. Dann wurde erwärmt und immer weiter erwärmt und bis zum kritisch Punkt änderte sich der Flüssigkeitsspiegel nur ganz wenig. Er nahm etwas ab, weil die Gasphase nun unter dem stark gestiegenen Druck mehr Stoff enthielt.

Die Verdampfungswärme einer Flüssigkeit nimmt immer weiter ab, je mehr sich die Temperatur dem kritischen Punkt nähert.

Kurz vor der Erreichen der Temperatur hat der Professor die Heizung kleiner Energie gestellt, weil der Vorgang nicht zu schnell ablaufen sollte.

Und nun konnte man sehen, wie die Flüssigkeit in Aufruhr geriet, ohne aber sichtbar zu kochen, im Sinne von verdmapfenden Wasser oder so. Da nun an ganz vielen Stellen Phasenoberflächen entstanden waren, wurde die Flüssigkeit trüb und schien wie von Ameisen durchzogen zu sein, während die Gasphase an dem Spiel nur ganz gering teilnahm (aber auch). Damit konnte man erkennen, dass die Flüssigkeit tatsächlich in die Gasphase überging und ein Zehntel Grad wärmer konnte man durch das Schauglas wieder ungetrübt schauen und der Flüssigkeisspiegel war weg.


Worin besteht eigentlich der Unterschied zwischen Flüssigkeit und Gas ?

1. Gase sind komprimierbar, Flüssigkeiten nicht

falsch, alles ist komprimierbar (sogar meine Texte) Es sind nur unterschiedliche Werte, bei denen Stoffe schrumpfen. Sicherlich ist in der praktischen Erfahrung ein so großer Unterschied, dass man das leicht unterscheiden kann.

2. Flüssigkeiten sind schwerer, als Gase

falsch, je nach Druck und Prozeßbedingungen können Gase schwerer sein als Wasser

3. Flüssigkeiten sind zäher, als Gase

falsch, auch Gase können unter Druck so zäh werden, dass sie sich schlechter durch Rohrleitung bewegen, als manche Flüssigkeiten.


Der echte Unterschied ist die Benetzungsfähigkeit einer Flüssigkeit, die sich aus den Anhaftekräften erklärt. Flüssigkeiten können Tropfen bilden, das können Gase nicht.

Da man im überkritischen Bereich sehr hohe Zähigkeiten und sehr hohe Dichten feststellt, und auch die Kompression überkritischer Stoffe sehr hohe Drücke erfordert, sprechen vielen Leute von einem quasi-flüssigen Zustand. Tatsächlich sind es aber Gase, die trotz sehr hoher Drücke nicht mehr in den Zustand der Benetzung und der Tropfenbildung kommen können.

Die Moleküle eines Stoffes ziehen sich gegenseitig an, sind aber auch immer in Bewegung. Die innere Energie kann man sich vorstellen, als eine Geschwindigkeit, mit der sich ein Molekül bewegt. Hält man es nun fest und bindet es in ein Gefüge von Kameraden, dann haben wir einen Feststoff. Die Moleküle schwingen hin und her, können aber ihre Position nicht verlassen. Bei Abkühlung auf den absoluten Nullpunkt bewegen sie sich nicht mehr.

Sobald die Schmelztemperatur erreicht wird, bewegen sich die Moleküle so schnell, dass sie nicht mehr im Gefüge bleiben. Sie ziehen sich aber dennoch gegenseitig an, nur ist jetzt der Partnerwechsel möglich und wird auch ausgeführt. Zwei verschiedene Feststoffe, die im flüssigen Zustand mischbar sind, werden, wenn man sie erwärmt und genügend lange wartet, sich vollständig vermischen und beim Wiederabkühlen eine Legierung bilden.

Wird aber die kinetische Energie so hoch, dass die Molekühle nur noch zusammenprallen und sich nicht mehr aneinander heften können, dann ist die Gasphase erreicht und Gase können immer miteineander gemischt werden, auch wenn die Stoffe im flüssigen Zustand nicht mischbar sind. Das ist der entscheidende Unterschied: es gibt keine Anhaftungen mehr. Gase können nichts benetzen und überkritische Stoffe ebenfalls nicht. Es sind Gase.

Vorhang, erster Akt beendet.

[Musik]


Anwort auf die gestellte Frage:

Ja, der Druck steigt definitiv weiter, sogar rascher als vorher. Wenn also Bedenken bestehen, dass ein Gefäß dem Druck nicht mehr standhält, muß man auf jeden Fall aufhören, weiter zu erwärmen.

Die Energie, die Flüssigkeiten bei Erwärmung noch in den haftenden Bewegung von Molekülen gespeichert werden kann, wird überkritisch nicht mehr von Haftkräften "aufgefangen". Die frei beweglichen Moleküle setzen die zugeführte Geschwindigkeit komplett in kinetische Energie um und klopfen im Verein an die Wände => wir messen Druckanstieg.

Für einfache Stoffe gibt es dafür Tabellen. Prozeßsimulationssoftware bemüht sich auch, das numerisch zu erfassen. Das ist aber sehr schwierig. Der Traum der Chemiker und Thermodynamiker ist ein Programm, in dass man die Strukturformel eines Stoffes eingibt und der Rechner sagt einem alle Eigenschaften voraus.

Es gibt wohl Approximationen, aber die allgemeingültige Weltraumformel nach Einstein, die wird wohl noch auf sich warten lassen müssen.


Um noch auf Jos Einwand einzugehen: Energie wird auch in der internen Bewegung von Molekülen gespeichert. Ein Stoff kann sich z.B. umkristallisieren und damit beim Erwärmen einen Haltepunkt zeigen.

Bei Kohlenwasserstoffen passiert allerdings etwas anderes. Das Molekül fängt an mit dem Popo zu wackeln und bricht sich irgendwann die Wirbelsäule, wenn der devil dance zu heftig wird.

=> der Stoff zersetzt sich.


Was dann mit dem Druck passiert, könnt Ihr Euch anhand des vorher ausgeführten nun selbst erklären.


Gruß

Werner


oder nicht ?



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